Das folgende Interview mit Sotiris Martalis, Mitglied von DEA, inzwischen ehemaliges Mitglied des Zentralkomitees von Syriza und der „Linken Plattform“ in Syriza, wurde von Lee Sustar („Socialist Worker“, USA) geführt.

Was war der Grund für die Gründung von „Laiki Enotita“ (LAE, Volkseinheit)?

Tsipras hatte die Auflösung seiner Regierung und Neuwahlen noch vor der Abhaltung eines Syriza-Parteitags angekündigt. Es war offensichtlich, dass er all jene Parlamentarier, die gegen das dritte Me­morandum gestimmt hatten, von der Kandidatenliste nehmen würde. Welchen Sinn sollte ein Syriza-Parteitag da noch machen? Es wäre dann ja alles schon abgeschlossen – die Abstimmung über das Memorandum und die Wahlen.

Tsipras und die anderen Parteiführer haben sich wieder einmal nicht an die bestehenden Parteibe­schlüsse gehalten. Auf der letzten Sitzung des Zentralkomitees war ja die Einberufung eines Parteitags beschlossen worden. Es gab keinen Beschluss, Neuwahlen anzustreben.

Wer ist bei Laiki Enotita alles mit dabei?

Die wichtigsten Kräfte kommen von Syriza. Aber der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Wir wis­sen noch nicht genau, welche Teile von Syriza bei Laiki Enotita mitmachen werden. Wir wissen eben­falls noch nicht, ob Laiki Enotita eine Partei oder ein Organisationsbündnis werden wird.

Es begann damit, dass 25 Leute aus der Parlamentsfraktion der Parlamentspräsidentin ihren Rückzug aus der Syriza-Fraktion mitteilten und ankündigten, dass sie eine neue Gruppe namens Laiki Enotita bilden. Vier Mitglieder der Linken Plattform legten ihre Positionen im Politischen Büro nieder. Sie warfen der der Führung vor, sich nicht an Parteibeschlüsse zu halten. Soweit die Fakten.

Mit dabei wird die gesamte Linke Plattform sein – das heißt die „Linke Strömung (von Lafazanis und anderen) und das Rote Netzwerk (das von DEA initiiert worden ist) und, so hoffe ich, Teile der „Grup­pe der 53“ (Dissidenten innerhalb der Syriza-Mehrheitsströmung), die Differenzen mit dem Kurs der Parteiführung haben. Tatsächlich ist die „Gruppe der 53“ in drei Teile gespalten. Ein Teil wird bei Laiki Enotita mitmachen. Ein anderer Teil hat deutliche Differenzen mit der Parteiführung, hat aber noch keine Entscheidung darüber getroffen, ob sie bei Laiki Enotita mitmachen. Ein dritter Teil hat ebenfalls Differenzen mit der Parteiführung, bedauert aber die Spaltung und hat ebenfalls noch keine Entscheidung getroffen. Ein vierter Teil bleibt in Syriza und stimmt mit der Parteiführung weitgehend überein. Einige aus dieser Gruppe sind Parlamentsabgeordnete.

Werden Gruppen außerhalb von Syriza sich Laiki Enotita anschließen?

Es gab bisher zwei Treffen mit 13 Organisationen, Gruppen und Initiativen, auf denen das diskutiert wurde. Sie haben eine gemeinsame Erklärung verfasst und bereiten einen umfangreicheren Text einer politischen Erklärung vor. Die meisten dieser Gruppen werden bei Laiki Enotita mitmachen. Darunter sind auch zwei oder drei Organisationen aus dem antikapitalistischen Bündnis ANTARSYA. Eine davon ist ARAN oder „Linke Neuformierung“, die zweitgrößte Teilorganisation innerhalb von AN­TAR­SYA, die andere ist ARAS oder „Linke Umgruppierung“.

An den Treffen beteiligt waren ansonsten noch Xekinima, die griechische Sektion des Committee for a Workers International (CWI), und Paremvasi [was so viel wie „Intervention“ bedeutet]. Die „Initiative der 1000“ war ebenfalls beteiligt. Auch einige ehemalige SozialdemokratInnen wie DIKKI (die „Demo­kratisch-Sozialistische Bewegung) waren vertreten.

Zu den an ANTARARSYA beteiligten Gruppen, die sich nicht dafür entschieden haben, bei Laiki Enotita mitzumachen, gehören: NAR (Neue linke Strömung), SEK (die griechische Sektion der IST-Strömung) und OKDE-Spartakos, die griechische Sektion der Vierten Internationale. Aber durch die Teilnahme von wichtigen Teilgruppen von ANTARSYA an Laiki Enotita gibt es für sie einen gewissen Druck, sich ebenfalls zu beteiligen.

Wie verhält sich die KKE ‒ die Kommunistische Partei Griechenlands – gegenüber Laiki Enotita?

Die KKE hat die „Volkseinheit“ vom ersten Tag an attackiert. Ihr Hauptargument lautet, dass Laiki Enotita praktisch das Gleiche ist wie Syriza und dieselbe Politik betreiben wird. Aber durch die Grün­dung von Laiki Enotita wächst der Druck auf die KKE. Denn jetzt schon machen zwei kleine Abspal­tungen von der KKE bei Laiki Enotita mit. Die eine ist „ArbeiterInnenkampf“, die andere Kordatos, benannt nach einem linken griechischen Historiker, der Parteimitglied war.

Was ist die Perspektive für die Syriza-Führung?

Sie nennen drei Punkte. Der erste ist: „Wir nehmen den Kampf an. Aber sie erpressen uns. Deshalb sind wir gezwungen, das zu tun, obwohl wir nicht daran glauben.“ Ihre zweite Aussage lautet: „Wir haben die Lage in Europa verändert. Wir haben die Diskussion über Solidarität und das Ende der Austerität eröffnet. Jetzt gilt es, die Ergebnisse abzuwarten.“ Und drittens sagen sie: „Unsere eigenen Mitglieder im Parlament haben uns gestürzt, weil sie nicht für das Memorandum gestimmt haben. So sind wir gezwungen, Neuwahlen einzuberufen.“

Weil Schäuble einen Grexit aus der Eurozone betreibt, werfen sie Laiki Enotita vor, denselben Plan zu verfolgen wie Schäuble. Fakt ist aber, dass die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel der brasilia­nischen Präsidentin Dilma Rousseff sagte, dass der Rücktritt von Tsipras „Teil der Lösung“ des Prob­lems sei – nicht Teil der Krise. Tsipras hatte also eine Absprache mit den Mächtigen in Europa in der Frage der Neuwahlen.

Was die Herrschenden in Europas betrifft, so haben sie keine andere politische Option in der Tasche. Die Alternative der griechischen Kapitalistenklasse und der EuropäerInnen ist Tsipras. Er ist mit Zu­stimmungswerten von 61 Prozent nach wie vor sehr populär in Griechenland. Die europäischen Mächte und die griechischen Kapitalisten wissen, dass Tsipras die nächsten Wahlen gewinnen wird.

Ich glaube, dass Tsipras einen Teil der linken WählerInnen verlieren wird. Ich kann aber nicht sagen, wie hoch der Anteil sein wird. Wie Du Dir vorstellen kannst, ist Laiki Enotita eine neue Formation. Es fehlt an Ressourcen, es gibt kein „Hauptquartier“, kein Geld, Nichts. Und in 20 Tagen müssen wir uns den Wahlen stellen. Das wird sehr schwierig. Aber ich glaube, dass wir die Dreiprozenthürde über­winden, die nötig ist, um ins Parlament zu kommen.

Tsipras seinerseits wird wohl nicht die absolute Mehrheit bekommen. Er wird gezwungen sein, eine Koalition zu bilden mit den „Unabhängigen Griechen“, den Konservativen, die auch an der letzten Regierung beteiligt waren. Oder er könnte mit Potami eine Koalition bilden, einer gemäßigten Pro-Austeritätspartei, oder mit den Sozialdemokraten von PASOK. Das entspricht dem Plan, den die herr­schende Klasse von Anfang an hatte ‒ Syriza in eine Regierung der „nationalen Einheit“ mit den Sozi­aldemokraten zu zwingen. Wenn es zu einer solchen Koalition kommt, so wäre das das Beste für die Kapitalisten.

Wie wird Laiki Enotita sich auf die Wahlen vorbereiten?

Normalerweise sind in Griechenland bis zum Wochenende nach dem 15. August, dem Festtag der heiligen Maria, Ferien. Teile der Linken waren noch nicht aus dem Urlaub zurück, als Tsipras den Rücktritt seiner Regierung bekannt gegeben hat. Es ist schwierig, sich ein Bild von der aktuellen Lage zu machen. Eine Menge Geschäfte haben geschlossen und die Leute sind weg.

Ein anderes Problem ist, dass es in ungefähr einem Jahr schon vier Wahlen gegeben hat. Die erste war die Wahl zum Europaparlament; dann gab es im Mai 2014 Kommunal- und Regionalwahlen; und schließlich gab es ja noch die Parlamentswahlen im Januar und im Juli das Referendum über die Austeritätspolitik.

Das ist jetzt also die fünfte Wahl. Und die Leute sind enttäuscht. Sie haben beim Referendum Nein gestimmt und gehofft, damit die Austerität zu stoppen. Jetzt sagen einige Leute, dass Tsipras es so gut gemacht hat, wie er es konnte. Andere wiederum sagen, dass die Linke Plattform in dieser Frage ehr­lich aufgetreten ist und man sieht, dass sie es ernst meinen mit dem, was sie sagen. Das sind, grob gesagt, die beiden Meinungen, die an den Arbeitsplätzen zu hören sind.

Jetzt beginnt die Auseinandersetzung in den örtlichen Gliederungen von Syriza: Wir werden sehen, wie viele Leute sich für einen gemeinsamen Weg mit uns entscheiden, wie viele bei der Parteiführung bleiben und wie viele schlicht zu Hause bleiben und abtauchen. Wir rufen zu Versammlungen auf örtlicher Ebene auf, aber was dabei herauskommt, hängt vom jeweiligen Kräfteverhältnis auf örtlicher Ebene ab.

Parallel dazu haben die Diskussionen über einen grundsätzlichen Text zu den Positionen von Laiki Enotita begonnen. Wir haben außerdem eine landesweite Versammlung des Roten Netzwerks. Und die Wahlkampagne einschließlich der Aufstellung der Kandidatenlisten beginnt jetzt.

Dieser Text erschien am 25. August mit einem längeren Vorspann, der hier fortgelassen wurde, auf der Webseite „Socialist Worker“, der Zeitung der International Socialist Organization (ISO, USA).
http://socialistworker.org/2015/08/25/the-left-challenge-to-tsipras-surr...

Übersetzung aus dem Englischen: Paul Michel

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